Weite und Tiefe  eine kleine Reflexion

 

Die Schlüsselbegriffe für das hier präsentierte photographische Werk ließen sich leicht auf diesen Punkt bringen: Weite wird gefunden, Tiefe wird hergestellt. Jeder erprobte Photograph weiß, mit welchen Mitteln er Tiefenwirkung in sein Motiv zaubern kann, etwa durch die Betonung von Scharf/Unscharf-Kontrasten. Und Weite? Den Standpunkt dafür findet man am besten auf einem hohen Berg oder am Ufer eines großen Wassers. Fehlt nur noch der Auslöser.

 

Doch so einfach geht das nicht. Das Aufspüren von Tiefe ist mehr als gelungenes Handwerk. Wahre Tiefe wird zu Recht mit etwas Innerem, Wesenhaften, Wichtigen, Geheimen zusammengedacht. Ganz konkret in der Tiefenpsychologie, der Tiefenentspannung, der Tiefenwahrnehmung (die aus zwei drei Dimensionen macht), übrigens auch in dem hochautoritären „tiefen Staat“. In der Tiefe, speziell der typisch deutschen, lauert also durchaus faustische Gefahr, wie sie Thomas Mann nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs beschwor. Manche Motive von Klaus Radtke – gerade die aus der Natur – balancieren gekonnt auf diesem schmalen Grad.

 

Der tiefen Konzentration setzt die Weite ihr Angebot an Entspannung entgegen. Schließlich ist der Horizont nur eine gedachte Linie. Ihre verlockend  geringe Reizdichte fordert Neugier, dann Aufbruch, dann Staunen und Ehrfurcht heraus – doch dahinter, da geht’s weiter, das weiß man nicht erst seit Udo Lindenberg. Sondern spätestens seit der deutschen Romantik und ihrem Protagonisten Caspar David Friedrich (1774 – 1840). Dessen Botschaft war, so der aktuelle Maler-Kollege Klaus Fußmann, „die Weite, die bis an das Unendliche heranführt“.

 

Weite und Tiefe: Eigentlich bilden die Vertikale und die Horizontale ja ein Kreuz. Das Symbol verweist auf den spirituellen Ansatz der hier gezeigten photographischen Arbeiten. „Länge, Weite, Höhe, Tiefe“: So lautete die präzise Antwort des Abtes Bernhard von Clairvaux (1091 – 1153) auf die Frage, was Gott sei.

 

 

T.M.